Langeweile ist ein produktiver Zustand

In apokalyptischen Zeiten fragen wir Materialinitiativen, was sie gerade so machen. Heute im Interview: Susanne Günsch von Remida - das kreative Recycling Centro. Der Hamburger Verein vermittelt Material aus Handwerk, Industrie und Handel an pädagogische und kulturelle Einrichtungen. Aus Produktionsresten werden so wunderschöne Dinge.

TRASH: Ganz allgemein - wie funktioniert Euer Konzept?

Remida: Remida steht für die Idee, dass Materialien, die in Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe abfallen, wunderbare Ressourcen für kreativ-künstlerisches Arbeiten in sozialen und Kultureinrichtungen sind. Firmen überlassen der Remida ihre sauberen, ungiftigen Reste. Kitas, Schulen und Kulturprojekte suchen sich die ungewöhnlichen Materialien für ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wieder aus. Die Idee kommt aus Reggio Emilia, Italien, und ist mit der dortigen Elementarpädagogik verknüpft.

Foto: Susanne Günsch mit gaaanz viel Plastik

TRASH: Und wer spendet Euch Material?

Remida: Die Palette der Firmen reicht vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum DAX-Unternehmen.

TRASH: Welches Material bekommt Ihr am häufigsten zu Gesicht?

Remida: Plastik, einfach weil es am häufigsten verwendet wird. Wir haben es als Folien in allen möglichen Farben und Stärken, Flaschen (meistens von Beiersdorf, wenn irgendeine Bodylotion nicht mehr produziert wird oder eine neue Verpackung bekommt).

Foto: Susanne Günsch mit gaaanz viel Plastik

TRASH: Euer absoluter Ladenhüter?

Remida: Wir haben hier noch ein paar Sicherheitsglasscheiben aus den ersten Jahren stehen.

TRASH: Könnt Ihr uns eine Geschichte zu einem gespendeten Material erzählen?

Remida: Das Material mit der skurrilsten Geschichte sind die Wattestäbchen in der Kunststoffhülse (Foto oben H1N1), die für das Abnehmen von Speichelproben verwendet werden. Erinnert sich noch jemand an die ominösen Mordfälle, nach denen an vielen Orten Deutschlands die gleichen DNA-Spuren gefunden wurden? Eines Tages stellte sich heraus, dass die Stäbchen von der DNA der Packerin verunreinigt waren und deshalb nicht mehr verwendet werden konnten. Bei der Hamburger Polizei lagerten rund 5.000 Stück davon. Sie fanden in der Remida freudige Abnehmer.

TRASH: Ihr habt sie dann zu einem Influenza A-Virus-Modell umfunktioniert. Wie passend. Im Angesicht der Apokalypse: wie läuft der Laden?

Remida: Gar nicht! Unsere Zielgruppe, Kitas, Schulen Kulturprojekte, sind ja nahezu geschlossen. Da braucht niemand Material. Wir haben nach Terminvereinbarung geöffnet und verschicken auch Pakete an unsere Nutzer in Hamburg – das war bislang nur für Einrichtungen außerhalb HH vorgesehen. Aber wir haben Förderung aus dem Corona-Fonds bekommen. Das hilft, die Miete und laufende Kosten zu bezahlen.

TRASH: Wisst Ihr, welches Eurer Materialien die Apokalypse am längsten überlebt?

Remida: Ich verstehe die Frage nicht, aber ich versuche mal eine Antwort: Unsere Materialien werden ja in Einrichtungen mit Ideen recycelt. Intelligent ist es, sie als immer wieder neu verwendbare Spielsachen zu sehen. Dafür ist Plastik gut geeignet, Glas und Holz auch, Papier sicherlich weniger. Die normalen Recyclingprozesse verschiedener Materialien kann man bei uns in Schaukästen nachvollziehen.

TRASH: Das war doch eine gute Antwort! Irgendwelche kreativen Tipps gegen die Langeweile?

Remida: In der Remida sprechen die Materialien für sich. Heißt: wir geben durch Präsentation und Installationen Anregungen. Aber jede/r findet selbst seinen Weg zu Ideen. Langeweile ist ein unglaublich produktiver Zustand, den sollten wir viel öfter genießen, zelebrieren und sehen, was für Ideen daraus entstehen.

TRASH: Dann hoffen wir, dass Euch in der Langeweile noch viele kreative Ideen kommen. Wie kann man Euch denn gerade unterstützen?

Remida: Man kann spenden oder auf Termin vorbeikommen, ein Paket bestellen, einen Workshop buchen...

Na dann, nichts wie hin da: www.remida.de

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